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KI wird haftbar: Justizministerium modernisiert Produkthaftungsrecht

Neuer Gesetzentwurf bezieht Software und KI-Systeme in die Produkthaftung ein - was Entwickler und Unternehmen jetzt wissen müssen.

Robin Böhm
12. September 2025
6 min read
#AI #Recht #Regulierung #Software #Compliance
KI wird haftbar: Justizministerium modernisiert Produkthaftungsrecht

TL;DR: Das Bundesjustizministerium hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, der Software und KI-Systeme künftig in die Produkthaftung einbezieht. Schäden durch fehlerhafte Algorithmen werden damit genauso behandelt wie traditionelle Produktmängel. Die Umsetzung der EU-Richtlinie muss bis Dezember 2026 erfolgen.

Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) unter Führung von Bundesjustizministerin Stefanie Hubig hat im September 2025 einen wegweisenden Gesetzentwurf zur Modernisierung des Produkthaftungsrechts vorgelegt. Die zentrale Botschaft: Künftig sollen auch Schäden durch fehlerhafte Software und Künstliche Intelligenz unter die Produkthaftung fallen – ein Paradigmenwechsel für die deutsche Tech-Branche.

Die wichtigsten Fakten

  • 📅 Zeitpunkt: Gesetzentwurf vom September 2025
  • 🎯 Zielgruppe: Software-Entwickler, KI-Unternehmen, Tech-Startups
  • 🔧 Technologie: Alle Arten von Software und KI-Systemen
  • 📊 Impact: Fundamentale Änderung der Haftungsregeln
  • Deadline: Umsetzung bis 9. Dezember 2026

Was ist neu?

Der Gesetzentwurf erweitert die klassische Produkthaftung radikal auf die digitale Welt. Bisher galten die Regeln hauptsächlich für physische Produkte – die lockere Schraube, das defekte Bauteil. Jetzt kommt die fehlerhafte KI dazu.

Kernfunktionen im Überblick

Software wird zum Produkt

  • Jede Art von Software fällt unter die Produkthaftung
  • Unabhängig von der Art der Bereitstellung (Download, Cloud, embedded)
  • Auch Updates und Patches sind erfasst
  • Lernfähige KI-Systeme explizit eingeschlossen

Erweiterte Haftungskette

  • Importeure digitaler Produkte haften mit
  • Online-Plattformen können in die Verantwortung genommen werden
  • Fulfilment-Dienstleister sind betroffen
  • Globale Wertschöpfungsketten werden erfasst

Open Source bleibt geschützt

  • Software außerhalb geschäftlicher Tätigkeit ist ausgenommen
  • Community-Projekte ohne kommerzielle Interessen bleiben haftungsfrei
  • Private Entwickler müssen sich keine Sorgen machen

Technische Details

Das neue Gesetz definiert erstmals klar, was als “fehlerhaftes digitales Produkt” gilt:

Definition eines Produktfehlers bei KI

Ein KI-System gilt als fehlerhaft, wenn es:

  • Nicht die Sicherheit bietet, die berechtigterweise erwartet werden kann
  • Falsche oder irreführende Entscheidungen trifft, die zu Schäden führen
  • Unvorhersehbare Verhaltensweisen zeigt, die Nutzer gefährden
  • Gegen Anforderungen des AI Acts verstößt (bei Hochrisiko-KI)

Beweiserleichterungen für Geschädigte

Der Entwurf sieht mehrere Mechanismen vor, die es Betroffenen erleichtern, ihre Ansprüche durchzusetzen:

  • Vermutungsregeln: Bei offensichtlichen Fehlfunktionen wird ein Produktfehler vermutet
  • Offenlegungspflichten: Hersteller müssen relevante technische Dokumentation bereitstellen
  • Schutz von Geschäftsgeheimnissen: Sensible Algorithmen müssen nicht vollständig offengelegt werden
  • Expertengutachten: Gerichte können technische Sachverständige einsetzen

Was bedeutet das für die Praxis?

Für Entwickler

Neue Sorgfaltspflichten:

  • Umfassende Dokumentation des Entwicklungsprozesses
  • Nachvollziehbare Testing-Protokolle
  • Klare Risikoanalysen vor dem Release
  • Kontinuierliches Monitoring nach der Veröffentlichung

Technische Anforderungen:

  • Implementierung von Fail-Safe-Mechanismen
  • Transparente Fehlerkommunikation
  • Versionskontrolle und Update-Management
  • Audit-Logs für kritische Entscheidungen

Für Unternehmen

Strategische Auswirkungen:

  • Anpassung der Produktentwicklungsprozesse
  • Erhöhte Budgets für Quality Assurance
  • Neue Versicherungsmodelle notwendig
  • Compliance-Abteilungen müssen aufgerüstet werden

Risikomanagement:

  • Haftpflichtversicherungen müssen KI-Risiken abdecken
  • Verträge mit Zulieferern neu verhandeln
  • Klare Verantwortlichkeiten in der Lieferkette definieren
  • Incident-Response-Pläne für KI-Fehler entwickeln

Vergleich mit internationalen Ansätzen

AspektDeutschland (neu)USAChinaEU (Richtlinie)
KI explizit erfasst✅ Ja⚠️ Teilweise❌ Nein✅ Ja
Open Source Ausnahme✅ Ja✅ Ja❌ Nein✅ Ja
Beweiserleichterung✅ Ja❌ Nein⚠️ Begrenzt✅ Ja
Umsetzungsfrist12/2026Variiert-12/2026

Stimmen aus der Branche

“Es ist richtig und wichtig, dass wir die Produkthaftung an das digitale Zeitalter anpassen. Für Verbraucher darf es keinen Unterschied machen, ob der Schaden durch eine lockere Schraube oder einen fehlerhaften Algorithmus entsteht.” — Stefanie Hubig, Bundesjustizministerin

Die Tech-Branche reagiert gemischt. Während große Unternehmen die Rechtssicherheit begrüßen, befürchten Startups höhere Markteintrittsbarrieren.

Roadmap & Ausblick

Q4 2025: Kabinettsbeschluss erwartet Q1 2026: Erste Lesung im Bundestag Q2 2026: Verabschiedung im Bundesrat Q4 2026: Inkrafttreten des neuen Gesetzes 2027: Erste Präzedenzfälle vor Gericht

Praktische Tipps für die Vorbereitung

Sofortmaßnahmen für Entwicklerteams

  1. Code-Review-Prozesse verschärfen

    • Vier-Augen-Prinzip bei kritischen Komponenten
    • Automatisierte Sicherheitschecks implementieren
    • Regelmäßige Penetrationstests durchführen
  2. Dokumentation verbessern

    • Entscheidungsprozesse bei KI-Training dokumentieren
    • Trainingsdaten und deren Quellen archivieren
    • Bekannte Limitationen klar kommunizieren
  3. Haftungsrisiken minimieren

    • Klare Nutzungsbedingungen definieren
    • Warnhinweise bei experimentellen Features
    • Regelmäßige Sicherheitsupdates garantieren

Checkliste für Unternehmen

  • Bestandsaufnahme aller Software-Produkte
  • Risikoanalyse für KI-Komponenten
  • Versicherungsschutz prüfen und anpassen
  • Schulung der Entwicklungsteams
  • Compliance-Prozesse etablieren
  • Krisenmanagement-Plan erstellen
  • Lieferantenverträge überprüfen
  • Dokumentationsstandards definieren

Fazit

Die Modernisierung des Produkthaftungsrechts markiert einen Wendepunkt für die deutsche Tech-Industrie. Software und KI werden rechtlich erwachsen – mit allen Rechten und Pflichten. Für Entwickler und Unternehmen bedeutet das: Die Zeit der unregulierten Innovation ist vorbei, die Ära der verantwortungsvollen KI-Entwicklung beginnt.

Die gute Nachricht: Wer bereits jetzt auf Qualität, Sicherheit und Transparenz setzt, ist bestens vorbereitet. Die Open-Source-Community kann aufatmen – ihre nicht-kommerzielle Arbeit bleibt geschützt. Und Verbraucher bekommen endlich den Schutz, den sie in einer zunehmend digitalisierten Welt verdienen.

Next Steps für Betroffene:

  1. Gesetzentwurf im Detail studieren
  2. Interne Prozesse auf Compliance prüfen
  3. Frühzeitig mit der Umsetzung beginnen – nicht bis 2026 warten

Die Zukunft der KI ist reguliert – aber das muss kein Nachteil sein. Klare Regeln schaffen Vertrauen, und Vertrauen ist die Basis für erfolgreiche digitale Produkte. Welcome to the Era of Responsible AI! 🚀


Letzte Aktualisierung: 12. September 2025 Quellen: Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Handelsblatt, Heise Online

Geschrieben von Robin Böhm am 12. September 2025